Kennen Sie DEN?

Autor: Text: Libor Kiss Photos: Lubomír Pešák, Jiří Kohlíček


Hommage an einen Tropfen – Wikov 35 „Kapka“

In den 1930er-Jahren entstanden die ersten in größeren Stückzahlen produzierten stromlinienförmigen Fahrzeuge. Eines der ersten wurde 1931 vorgestellt. Es stammte aus der Tschechoslowakei.

Bevor wir ins Detail gehen, lassen Sie uns eines klarstellen: Der gelbe Wikov „35“ Kapka, der diese Seiten ziert, ist kein restauriertes Auto oder ein Überlebender. Lubomír Pešák und seine Crew bauten es unter Verwendung zeitgenössischer Dokumente um ein originales Wikov 35-Chassis herum.

Bei näherer Betrachtung können wir von einer penibel gebauten Reproduktion sprechen. Heute ist es eine der Attraktionen des Veteran Arena Museums, das die Pešák-Sammlung in Olomouc  beherbergt.

Der Wikov 35 „Kapka“ stellt einen automobilen Meilenstein dar. Er ist älter als der Chrysler Airflow und der Tatra 77 – zwei bekanntere stromlinienförmige Autos, die drei Jahre lang in Serie produziert wurden. Man kann über den „Kapka“ sagen, dass es sich nur um Prototypen handelte, da nur vier (oder vielleicht fünf) gebaut wurden, aber das Unternehmen hatte ernsthafte Absichten zur Serienproduktion.

Karel Wichterle und Josef Kovářík gründeten 1918 die Wikov-Fabrik in der Stadt Prostějov. Sie wurde in der Zwischenkriegszeit schnell zum größten Hersteller von Landmaschinen in der Tschechoslowakei. 1924 wurde eine Personenwagenabteilung aufgebaut, in der einfache Tourenwagen auf Basis einer Lizenz des italienischen Ansaldo-Konzerns produziert wurden. Spätere sportliche Roadster verbesserten das Image des Unternehmens, aber niemand war darauf gefasst, dass Wikov so etwas Überraschendes wie der Kapka auf dem Prager Autosalon 1931 im Oktober enthüllt wurde.

Die Kapka (kann entweder mit Tropfen oder Klecks übersetzt werden) hob sich von den konventionell aussehenden Limousinen ab und „zog die Besucher wie einen Magnet an“, sagte Jiří Kohlíček, ein führender Experte und Kenner der Marke. Nach vielen Jahren der Recherche ist er sich immer noch nicht sicher, was genau das Management zu diesem mutigen Schritt veranlasste.

Er weiß nur, dass das Unternehmen seit vielen Jahren an Möglichkeiten forschte, den Luftwiderstand zu verringern. Zur Inspiration zögerten sie auch nicht, auf Wissen aus der Luftfahrt zu greifen. Aber verglichen mit den Patenten von Paul Járay unterliegt das Design des Kapka anderen Prinzipien. Trotzdem – laut Kohlíček – hatte er mit 0,3 einen guten Luftwiderstandsbeiwert.

Wikov-Ingenieure bauten zuerst Modelle im Maßstab 1:5 und 1:1 aus Holz. Diese waren mit einer dünnen Fettschicht überzogen. An der Karosserie wurden schwarze Streifen angebracht und mit Ventilatoren wurde der Luftstrom untersucht.

Nachdem die endgültige Form festgelegt war, wurde ein Prototyp auf der Basis eines Wikov 35 gebaut. Ein Team unter der Leitung des erfahrenen Karosseriebauers František Mikušek fertigte ein Holzskelett. Dann kamen die Spengler und überzogen es mit Blech. Das Ergebnis war eine Tropfenform mit einer aggressiven, spitzen Nase.

Der Innenraum war bequem für vier Personen und einem geräumigen Kofferraum ausgelegt, in dem auch zwei Ersatzräder Platz fanden. Der Antrieb kam von einem serienmäßigen Vierzylinder-OHC-Triebwerk. Mit einem Hubraum von 1751 cm³ hat er eine maximale Leistung von 35 PS (26 kW). Der Motor wurde – anders als beim revolutionären Tatra 77 mit Heckmotor – vorne platziert. Auch die Motorhaube öffnete sich konventionell nach beiden Seiten.

Neben seinem auffälligen Aussehen ist auch seine Pedalanordnung ungewöhnlich – Gaspedal in der Mitte und Bremse befindet sich rechts. Das Fahrzeug hatte hydraulische Bremsen an allen vier Rädern sowie hydraulische Stoßdämpfer. Es gab keine Servolenkung, sodass der Fahrer mit einem großen Lenkrad zu kämpfen hatte.

Durch die traditionelle Bauweise mit einem Eschenholzrahmen und einer wuchtigen, geschlossenen Form war der Kapka rund 100 kg schwerer als ein Standard-Wikov 35. Dadurch war seine Höchstgeschwindigkeit nur 5 km/h höher. Und bei höheren Geschwindigkeiten war das Auto ziemlich instabil. Ganz zu schweigen von seinem Benzindurst – alle Vorteile seiner windschlüpfrigen Form wurden durch das höhere Gewicht wettgemacht.

Das alleine hätte schon ausgereicht, um potenzielle Kunden abzuschrecken. Aber ein Preisschild von 70.000 CZK brachte das Fass zum Überlaufen. Es war damals das teuerste in der Tschechoslowakei erhältliche Automobil – sogar der Škoda-Hispano Suiza war etwas billiger.

Insgesamt wurden vier Kapka-Wagen gebaut. Laut Kohlíček gab es Gerüchte, dass ein fünftes ursprüngliches Fahrgestell mit einer aktualisierten Karosserie aufgebaut wurde. Und ein anderes Gerücht lautet sogar, dass auch ein gewisser Herr Ledvinka und ein gewisser Herr Porsche die Kapka eingehend studiert haben sollen.

Die Autos nahmen an Rallyes und an Concours d’Elegance-Veranstaltungen teil und traten bis 1935 regelmäßig auf der Prager Automobilausstellung auf. 1933 absolvierte ein Kapka die 1000-Meilen-Rallye der Tschechoslowakei.

Obwohl er selber ein kommerzieller Flop war, hatte der Kapka einen unmittelbaren Einfluss auf die gesamte Wikov-Reihe – die Modelle von 1932 bekamen ein eleganteres, stromlinienförmiges Heck.

Dies war nicht das letzte Mal, dass Wikov Neuland betrat: 1934 wurde ein Kleinwagen namens „Baby“ entwickelt. Angetrieben von einem Einzylinder-Zweitaktmotor ähnelte er dem in Deutschland propagierten Volkswagen des Josef Ganz. Schließlich wurde die Idee ad acta gelegt.

1937 baute Wikov sein letztes Auto.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen verstaatlicht und umstrukturiert.

Im Jahr 2004 wurde Wikov von einem der Nachkommen der Firmengründer als Zulieferer für die Automobilindustrie wiederbelebt.

Sowohl Pešák als auch Kohlíček versuchten jahrelang vergeblich, einen überlebenden Kapka zu finden. Letztendlich wurde entschieden, dass der Nachbau auf einem originalen Wikov 35-Chassis erfolgen sollte.

Zunächst wurde eine Skizze im Maßstab 1:10 erstellt, gefolgt von einem auf das Fahrgestell montierten Styropormodell der rechten Fahrzeughälfte im Maßstab 1:1. Erst als alle Beteiligten mit der endgültigen Form zufrieden waren, konnte die gesamte Karosserie nach Vorlage gefertigt werden. Überraschenderweise war seine Herstellung gleich beim ersten Mal erfolgreich, was bei Projekten ähnlicher Art nicht üblich ist: Ein Holzskelett wurde gebaut und das Blech darauf gehämmert, genau wie anno 1931.

Jedes einzelne Detail wurde lange und sorgfältig geprüft, wie der Farbton oder die Auswahl eines geeigneten Materials für die Innenausstattung. Im gesamten Wagen wurden originale Wikov-Innenausstattungen und -Zubehörteile verwendet.

Das Fahrzeug wurde 2014 fertiggestellt. Seine Ausstellungspremiere hatte es 2016 beim prestigeträchtigen Concours d’Elegance auf Schloss Loučeň. Seitdem hat Kapka an mehreren bekannten Oldtimer-Veranstaltungen in der Tschechischen Republik und im Ausland teilgenommen.

Herr Pešák besucht gerne Automessen. Obwohl er lieber mit seinem Auto auf eigener Achse zu Shows fährt, musste der Kapka auf einem Anhänger transportiert werden – für längere Reisen ist er nicht geeignet.

Den Kapka bewundern kann man aber auch in seinem „Zuhause“ auf dem Gelände der Veteran Arena in Olomouc, die nach Umbau und Erweiterung am 1. April 2019 wiedereröffnet wurde.


 

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