Hermann Rützler - Der vergessene Meisterfahrer

Autor: Manfred Noger


Vor 140 Jahren geboren – vor 100 Jahren seine größten Erfolge gefeiert

Hineingewachsen in das Zeitalter der Motorisierung und ein ganz populärer Rennfahrer in der Zeit zwischen den Kriegen, wäre heuer 140 Jahre alt geworden. Die heutige Generation hat seinen Namen vermutlich noch nie gehört. 

Hermann Rützler, am 20. Juni 1883 als zweites Kind von sechs in Mellau (Bregenzerwald) geboren, der Vater, Michael Rützler war als Fotograf von Au zugezogen. Hermann Rützler besuchte in Mellau die Schule und verbrachte seine Jugend auch hier. Der Vater zog bald nach Dornbirn und eröffnete hier ein Fotoatelier am Grabenweg. Die Kinder, hier die Töchter, waren abwechslungsweise beim Vater in Dornbirn und besorgten den Haushalt, während die kränkelnde Mutter Maria Theresia Rützler (geborene Hermann) in Mellau geblieben war. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1897 kam auch Hermann Rützler gänzlich zu seinem Vater nach Dornbirn. Als Teenager war er schon fasziniert von der aufkommenden Motorisierung und mit seinem Nachbar Eugen Raab hatte er auch einen späteren Autopionier als Jugendfreund. Unzählige Schriftstücke der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zeugen von einer stürmischen Zeit als Jugendlicher, denn immer wieder war Hermann Rützler mit dem Gesetz in Konflikt geraten wegen Verstößen, wie Fahren ohne Fahrerlaubnis, keine Kennzeichen am Fahrzeug oder keine Beleuchtung, um nur einige zu nennen.

Mit 25 lernte er die Johanna Mettler aus Teufen-Appenzell kennen und musste schleunigst am 24. Februar 1908 heiraten, das war nur in Bregenz möglich, weil die Braut schon schwanger war, und so wurde die Trauung in der evangelischen Kirche vollzogen, weil die katholischen Kirchen die Heirat verweigerten. Im März 1908 hat er auch noch das Fotoatelier vom Vater übernommen, die Tochter Hedwig kam am 2. Juli desselben Jahres auf die Welt, das Glück schien perfekt. Aber die Mutter von Hedwig starb ein paar Tage nach der Geburt, somit war Hermann Rützler schon sehr jung Witwer. Seine Tochter Hedwig wurde von der ältesten Schwester Paula in Obhut genommen, sie wuchs in Innsbruck auf und arbeitete später als Lehrerin, hat aber nie geheiratet und verstarb 2005 im 97. Lebensalter. Zu allem Übel kam noch ein Brand im Fotoatelier am 27. Juli dazu, dieses wurde dann wieder am 10. Januar 1909 wiedereröffnet. Am 25. Januar 1909 ein weiterer Schicksalsschlag für den jungen Hermann Rützler, er verlor seinen Vater mit 68 Jahren. Die Ereignisse der letzten 18 Monate schienen den Hermann Rützler aus der Bahn zu werfen. Am 22. Februar 1910 gab es einen weiteren Brand im Fotoatelier. Danach wurde für Hermann Rützler der Boden in Dornbirn zu heiß, im Juli 1910 beantragte er von Leipzig aus einen Reisepass; was genau er in Leipzig machte, ist nicht überliefert. Aber 1913 finden wir ihn im Russischen Zarenreich, war in Odessa am Schwarzen Meer seine zweite Ehe mit Anna eingegangen, die kinderlos blieb. Ein Artikel in der Auto Revue von 1937 belegt, dass er in der Krim an einer Wertungsfahrt teilgenommen hat. Zudem war er am Aufbau der Kaiserlich-Russischen Kraftfahrtruppe beteiligt, war zu lesen. Hermann Rützler war seinem Berufstraum nahegekommen und widmete sich vollkommen der Automobiltechnik. Mit seinen Geschwistern und mit seiner Tochter hielt er den Kontakt per Brief aufrecht.

1914 bei Kriegsausbruch wurde er als Österreicher interniert. Seine Frau Anna hatte als Russin keine Bewegungseinschränkungen, und dadurch litt die Ehe gewaltig. 1917 gelang ihm die Flucht über den Kaukasus und kam Anfang 1918 über abenteuerliche Weise zurück nach Vorarlberg und wurde gleich als einzig brauchbarer Automechaniker der k.u.k. Reschenscheideckbahn zugeteilt. Im selben Jahr kam er nach Steyr zur Waffenfabrik als „einfacher kommandierter Landsturmmann“, wie aus dem Schriftverkehr zu lesen. Nach dem Krieg mussten die Steyr-Werke umsatteln und haben schon länger die Produktion vom Österreichischen Waffenauto in Angriff genommen. Hermann Rützler gelang auf Grund seiner Kenntnisse zu einer leitenden Position. Überraschend kam auch seine Noch-Ehefrau Anna aus Odessa zu Hermann nach Steyr, man wohnte noch gemeinsam an der Bahnhofstraße 24. Die Fabrik in Steyr erlebte einen Aufschwung und Arbeiter waren immer gesucht und so wurde die Automobilproduktion vorangetrieben. Um die „Österreichischen Waffenautos“, wie sie bis 1926 eigentlich hießen, aber unter dem Namen Steyr bekannt wurden, auch einem weltweiten Publikum zum Bekanntheitsgrad zu verhelfen, wurden Wettbewerbe bestritten. Und da kam wieder Hermann Rützler ins Spiel. Er war, man könnte fast sagen der erste Werksfahrer von Österreich, denn er war als Angestellter in Diensten von den Steyr-Werken schon am ersten Rennen 1920 in Budapest auf einem Steyr Prototyp (noch mit Flachkühler), der einen Klassensieg errungen hat. Die Rennen damals waren noch nicht in einer Meisterschaft vereint und jedes Rennen zählte für sich und es waren durchwegs Bergrennen und normale Straßenkurse, denn permanente Rennstrecken gab es nur wenige. Monza als Beispiel wurde erst 1922 gebaut, oder der Nürburgring z. B. erst 1927 eröffnet.

1921 ging die Erfolgsserie weiter, fünf Rennen, drei davon mit Klassensiegen wurden abgeschlossen. 1922 hat Hermann Rützler als Oberfahrmeister an sechs Veranstaltungen teilgenommen und in der Targa Florio einen dritten Klassenrang rausgefahren, was im Gesamtklassement Platz 15 bedeutete. Ein gewisser Enzo Ferrari, da noch weit weg von einem Mythos, belegte Platz 16 und der spätere Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer landete auf Platz 19.

Seine größten Erfolge feierte Hermann Rützler im Jahr 1923, bei neun Rennen gewann er gleich acht davon. In der Targa Florio, hier hat eine Runde 108 km, wäre ihm fast die Sensation geglückt und er hätte das international beachtete Rennen gewinnen können. Zwei Runden hat er an der Spitze mit großem Vorsprung geführt, ehe er durch einen Unfall aus dem Rennen gerissen wurde. Das zweite Klausenpass-Rennen im Juli 1923 in der Schweiz war dann schon von Erfolg gekrönt, einer seiner acht Siege mit seinem Beifahrer Franz Skobek.

1924 war dann schon etwas gedämpfter, die Konkurrenz wurde stärker, die Rennen immer mehr und die Steyr-Rennwagen waren nicht mehr so siegfähig wie gewohnt. Beim GP der Tourenwagen in Lyon war Hermann Rützler mit einem geschlossenen Steyr mit Weymann-Karosserie an dritter Stelle durch einen Unfall ausgeschieden. Bei der Anreise nach Frankreich hatte er mit diesem Wagen in Dornbirn beim „Gasthaus zum Weißen Kreuz“ einen Stopp eingelegt, um Freunde zu besuchen.

Gerade mal drei Rennen hat Hermann Rützler 1925 bestritten, aber zwei Siege einfahren können, im Königsall-Jilowitsch-Rennen bei Prag und am Riesrennen bei Graz. Ein Ausflug nach Frankreich zu einem Rundenrennen brachte einen erfreulichen vierten Platz für Hermann Rützler.

Im Juli 1926 verhinderte schlechtes Wetter eine reguläre Fahrt am Tauernrennen und ein letzter Versuch am Klausenrennen im August fiel einem technischen Gebrechen an den Bremsen zum Opfer. Das war das letzte belegte Rennen, das Hermann Rützler bestritten hat.

Von nun an war Hermann Rützler auch in der Entwicklungsabteilung (Versuchsleiter) wieder mehr eingebunden in seiner Funktion als Rennleiter für den Einsatz der Steyr-Wagen bei Wettbewerben zuständig. Es wurde noch ein Kompressor-Wagen gebaut, aber die Zeit der Steyr-Wagen war vorbei und man hatte gegen den Bugatti, die um einiges leichter und einfacher zu fahren waren, keine Chancen mehr, so richtig wettbewerbsfähig zu sein. 1928 bekam der Steyr-Händler aus Bregenz, Arnold Anwander, die einzige Gelegenheit, beim Arlberg-Rennen einen Steyr-Kompressor zu fahren und er tat das nicht schlecht. Hinter Hans Stuck wurde er Zweiter und hatte den Sieg vor Augen. Hermann Rützler als Oberfahrmeister hatte den Deal eingefädelt. Steyr-Rennwagen wurden von nun an nur noch privat eingesetzt, die Herrenfahrer, also die es sich leisten konnten aus gutem Hause, haben im Ausverkauf zugeschlagen und mit den Restbeständen der Steyr-Rennautos Rennen bestritten.

Im Januar 1929 kam Ferdinand Porsche zu Steyr als Konstrukteur, Hermann Rützler war ins Entwicklungsprogramm mit involviert. Anton Honsig, der Konstrukteur vom Steyr XII und XX (Hermann Rützler war bei seinem Sohn Taufpate) hat Steyr verlassen und Ferdinand Porsche hat den Steyr XXX entworfen und das Luxusmodell Steyr-Austria, von dem gerade mal drei Stück gebaut wurden, mit Hermann Rützler als Testfahrer. Der Aufenthalt von Ferdinand Porsche dauerte gerade mal ein Jahr, denn Steyr hat mit Austro Daimler fusioniert und nun wären wieder die Herren an der Macht gewesen, weswegen Ferdinand Porsche vor Jahren aus der Austro-Daimler- Organisation ausgeschieden ist. Der Steyr Austria wurde eingestampft, weil Austro Daimler schon eine Luxusvariante im Programm hatte.

So war auch die Zeit für Hermann Rützler bei Steyr abgelaufen, die Weltwirtschaftskrise tat ein Übriges, denn der Absatz von Automobilen war eingebrochen.

Im Juni 1931 taucht Hermann Rützler in Wien auf. In der Webgasse 41 eröffnete er eine Autowerkstätte und war ein angesehener Mechaniker mit gut betuchter Kundschaft, die ihre Schlitten für Reparaturen in guten Händen wussten. 1939 ließ er sich von seiner Frau Anna scheiden, die Ehe bestand nur noch auf dem Papier. Anna hat noch einige Zeit in Steyr gewohnt, zog später aber doch noch nach Wien. Im April 1939 heiratet Hermann Rützler seine Katharina Weselsky, die er aus seiner Zeit in Steyr kannte, auch diese Ehe blieb kinderlos.

1940 übersiedelte der Betrieb von Hermann Rützler in die Schanzstraße 29–31, das er gekauft hat. In Wien hat er auch einen Lehrling ausgebildet. Anton Rützler aus Au war ein Neffe zweiten Grades, dieser machte seine Automechaniker- Lehre bei Hermann Rützler und hat wohl auch länger bei ihm gearbeitet, denn Anton Rützler hat auch gleich seine Frau Fredericke in Wien kennengelernt und im Juli 1942 geheiratet. Dieser Anton Rützler hat dann in Au lange Zeit eine Autowerkstatt mit angeschlossener ARAL-Tankstelle geführt und ist Älteren im Bregenzerwald noch bekannt, wie z. B. der Hermann Bischof aus Bizau, der 1981 den Staatsmeistertitel im Formel Ford ins Ländle holte. Er war in den Ferien oft als Tankwart beschäftigt und hat sich so etwas Geld verdient.

Hermann Rützler hat mit einem deutschen Geschäftspartner Ende der 40er-Jahre die Elektro-Diesel Gesellschaft gegründet, eine Kooperation mit BOSCH, aber 1953 das Gewerbe zurückgelegt. Zeitgleich hat die Familie Rützler in Perchtoldsdorf gewohnt. Hier hat sich Hermann Rützler zurückgezogen und ausgedehnte Spaziergänge mit seinen Hunden unternommen, die Zeit seines Lebens eine große Rolle gespielt haben.

Am 6. Juni 1960 ist Hermann Rützler im 77. Lebensjahr verstorben; er wurde in Perchtoldsdorf begraben und seine Frau Katharina folgte ihm 1975. Die Grabstätte wurde 1988 von der Verwandtschaft seiner Frau aufgelöst. Entfernte Verwandte, die nur vage bis keine Erinnerungen an den Rennfahrer Hermann Rützler haben, leben heute noch in Bregenz und in Au im Bregenzerwald.


 

Diese Website verwendet Cookies, um ein gutes Surferlebnis zu bieten

Dazu gehören essentielle Cookies, die für den Betrieb der Seite notwendig sind, sowie andere, die nur zu anonymen Statistikzwecken, für Komforteinstellungen oder zur Anzeige personalisierter Inhalte verwendet werden.
Sie können selbst entscheiden, welche Kategorien Sie zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass aufgrund Ihrer Einstellungen möglicherweise nicht alle Funktionen der Website verfügbar sind.

Diese Website verwendet Cookies, um ein gutes Surferlebnis zu bieten

Dazu gehören essentielle Cookies, die für den Betrieb der Seite notwendig sind, sowie andere, die nur zu anonymen Statistikzwecken, für Komforteinstellungen oder zur Anzeige personalisierter Inhalte verwendet werden.
Sie können selbst entscheiden, welche Kategorien Sie zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass aufgrund Ihrer Einstellungen möglicherweise nicht alle Funktionen der Website verfügbar sind.

Ihre Cookies-Einstellungen wurden gespeichert