Vertrauensfrage
Autor: Hannes Denzel

Triumph 4 HP Model H 550sv
Wer ein Faible für englische Motorräder hat, der kommt an der Marke „Triumph“ nicht vorbei. Dabei wurde ausgerechnet diese urenglischste aller Motorradfirmen von einem Deutschen gegründet.
Siegfried Bettmann hieß der Mann, der 1884 seine Heimat Richtung England verließ. Schon ein Jahr später gründete er dort eine Firma, die sich mit dem Vertrieb von in Birmingham gefertigten Fahrrädern beschäftigte, die er unter eigenem Namen verkaufte. Aber schnell wurde ihm klar, dass eine englischklingende Bezeichnung her musste, um seine Räder zu vermarkten, „Bettmann“ war wenig zugkräftig. So entstand die Marke „Triumph“.
1887 war ein Schicksalsjahr für Bettmann, er verlegte den Sitz seines Unternehmens in die Fahrradhochburg Coventry, wo die Schwerindustrie und meisten Zulieferfirmen saßen, und er nahm den Ingenieur Mauritz Schulte in seine Firma auf. Schulte stammte ebenfalls aus Deutschland und war ein Mann mit großem technischem Interesse und Weitblick. Er war es, der 1893 in München eine jener neuen Erfindungen kaufte, die sich Motorrad nannte und deren Hersteller sich diese Bezeichung sogar hatte patentieren lassen: „Hildebrand und Wolfmüller“. Sie sollte das Vorbild sein für eigene, aber bessere Konstruktionen bei Triumph, Motorräder sollten die Zukunft für das Unternehmen sein, darüber waren sich Bettmann und Schulte einig (wie viele andere Fahrradhersteller im technikbegeisterten und innovationsfreudigen England auch). Zuerst experimentierten sie an verschiedenen Varianten von Motorfahrzeugen – ein- und mehrspurig – aber 1902 war ein Modell fertig und ausgereift; mit der Serienfertigung der ersten Triumph konnte begonnen werden. Diese war wie die meisten Produkte jener Zeit nicht viel mehr als ein motorisiertes Fahrrad, aber ihr Grundkonzept ähnelte schon dem, was für die nächsten Jahre Gültigkeit haben sollte. So waren die Einzylinder-Motoren – die von JAP in England, Fafnir aus Deutschland und Minerva aus Belgien bezogen wurden – nicht wie bei vielen anderen Herstellern über dem Vorder- oder Hinterrad, sondern von Anfang an schwerpunktmäßig günstig am tiefsten Punkt des Rahmendreiecks angeordnet. Angetrieben wurde das Hinterrad mittels Flachriemen und über Pedale und Kette, um den Motor in Gang zu bringen. Oder auch um pedalierend aus eigener Kraft wieder nach Hause zurück zu kommen, wenn das Aggregat nicht mehr mitspielte (was häufig genug der Fall war).
Auf diese Pedale verzichteten Bettmann und Schulte bei ihrem verkaufsstärksten Produkt, dem 4-HP-Modell mit 550 ccm Hubraum und der Zusatzbezeichnung Model H, das 1914 auf den Markt kam. Das Model H war eine Weiterentwicklung des 3 ½ HP-Seitenventilers mit454 Kubik aus 1907, der 1908 auf 476 und 1910 auf 499 Kubik aufgebohrt worden war. Mit einer solchen Maschine 3 ½ HP gelang dem Briten Jack Marshall übrigens ein Sieg bei der zweiten je ausgetragenen Tourist Trophy auf der Ilse of Man, fünf weitere Triumph-Piloten platzierten sich unter den ersten zehn. Wahrlich ein Triumpf für Triumph!
Das Model H war eines der meistproduzierten Motorräder Europas, dementsprechend viele – relativ viele – überlebende Exemplare tauchen immer wieder einmal bei einschlägigen Veranstaltungen auf. Ihre Piloten konnten über einen Handhebel drei Gänge im Sturmey Archer Getriebe schalten und damals mit wenig Angst vor Pannen zu Ausflügen starten. „Trusty Triumph“, die „vertrauenswürdige Triumph“ wurde sie in Motorradfahrerkreisen allgemein genannt. Das war auch der britischen Armeeleitung zu Ohren gekommen, Triumph bekam Heeresaufträge für große Mengen Model H’s, die an die Meldefahrer (dispatch riders) verteilt, aber auch von anderen alliierten Ländern geordert wurde – darunter auch von Russland. 30.000 Stück verließen in den Jahren zwischen 1914 und 1918 die Werkshallen in Coventry, was das Unternehmen die Kriegswirren gut überstehen ließ. Nachdem sich die Militärausführung technisch von der zivilen Version ohnehin kaum unterschied, konnte bei Kriegsende die Produktion unverändert weitergeführt werden. Eine Änderung erfolgte 1920, als gegen Aufpreis auch Kettenantrieb erhältlich war – die riemengetriebene Variante wurde aber auch weiterhin angeboten. Als das Model H nach 1923 außer Dienst gestellt wurde, belief sich ihre Fertigungszahl auf 57.000 Stück. Sie lebte aber im Model SD weiter, das sich hauptsächlich durch die modernisierte und namensgebende Federgabel (SD = Spring Drive) von der H unterschied.
Auch unser Fotomodell aus 1918 – zur Verfügung gestellt von British Only in Pettenbach – hat eine Militärvergangenheit hinter sich, war allerdings in Diensten der französischen Armee. Sie ist in einem rustikalen Zustand, der dazu verleitet, die Bezeichnung „Trusty Triumph“ in „Rusty Triumph“ abzuwandeln. Ebenfalls bei British Only aufgenommen wurde das Gespann, auch das weitgehend im Originalzustand, ausgerüstet mit einem jener mächtigen Seitenwagen mit Holzboot, wie sie in England der 20er-Jahre beliebt und gern genutzt wurden – sofern die Zugmaschine potent genug war, um mit der Last fertig zu werden. Das Gespann stammt aus dem Jahr 1923, wird aber noch mit einem Lederriemen angetrieben. Ebenso wie das dritte Fotomodell, das aus Privatbesitz stammt, nämlich dem des Münchners Rudi Platzer. Rudi ist ein gebürtiger Oberösterreicher, seit Pensionsantritt verbringt er auch wieder mehr Zeit in seinem ursprünglichen Heimatort Pettenbach als in seiner Wahlheimat Bayern – das nur zur Erklärung, falls jemand den Rudi bei einer Veranstaltung für Uraltmotorräder wie der Kaiserzeitausfahrt in Haag an der Amper oder der FranzJosefsFahrt in Bad Ischl gesehen hat und ihm das Münchner Kennzeichen aufgefallen ist. Bei den genannten Events war Rudi seit jeher Stammgast, man kannte ihn mit seiner 1912er Zenith mit Gradua-Getriebe. Weil die aber sehr mühsam zu handeln ist, hat der Rudi sich von ihr getrennt und als Ersatz die Triumph zugelegt, eben wegen ihrer sprichwörtlichen Zuverlässigkeit – die er bisher nur bestätigen kann. Bestätigt hat sich allerdings nicht das Baujahr, unter dem Rudi es – bereits restauriert – gekauft hatte. Angeboten wurde sie ihm als 1919er-Modell, eine Nachfrage beim englischen Triumph Owners Club ergab anhand Motor- und Rahmennummer aber das letzte Baujahr, also 1923. Dem Rudi ist’s egal, technisch ist der Unterschied ohnehin kaum feststellbar: der Motor hat ein stärkeres Pleuellager, die Nockenprofile wurden geändert und der etwas größere Tank fasst jetzt zwei Gallonen, was in etwa 9 Litern entspricht. Und: er kann wenigstens sicher sein, kein ehemaliges, nachvernickeltes Militärrad unterm Hintern zu haben.